(SZ) Die Milieukrippe in Sankt Maria in Köln-Lyskirchen ist derart außergewöhnlich, dass man sich die ganze Adventszeit dort einmieten möchte. Besonders jetzt in Corona-Zeiten, denn man wäre dort von vielen Menschen aus dem Viertel umgeben, ohne sich der geringsten Ansteckungsgefahr auszusetzen. Die verstorbene ehrenamtliche Küsterin ist da, ein Flüchtling aus Eritrea, ein Junkie aus der Notschlafstelle für obdachlose Drogenabhängige, aber auch Frau Färber aus dem Veedel rund um die Kirche. Und das Tröstliche: Sie alle sind bloß Krippenfiguren. In den Jahren, die mittlerweile unter die Zeitrechnung der "normalen Jahre" fallen, sind sie alle Teil des gewaltigen Arrangements gewesen, das zur Weihnachtszeit aufgebaut wurde. Die Kulisse bildete ein Konterfei der Kölner Altstadt in den Dreißigerjahren. Es gab einen Stall für alle, aus dem niemand ausgeschlossen wird, Maria und Josef schon mal gar nicht. Dort ist auch Platz für Kuh und Esel, für die Königin von Saba und den König Salomon, die aus südlichen Gefilden eingetroffen sind, also vermutlich aus der Kölner Südstadt, denn in Köln schätzt man alles, was aus Köln kommt.
In diesem Jahr wurde aber, wie bereits im vergangenen, die große Szene aufgelöst. Jetzt stehen alle Püppchen, unter Wahrung des Sicherheitsabstandes im Kirchenraum verteilt, ein wenig auf verlorenem Posten wie wir Nicht-Püppchen ja auch. Zum Glück hat sich eine Impf-Schlange gebildet mit Menschen, die einen gelben Impfpass in der Hand halten und sich beim römischen Zahlmeister, der das große RKI-Register handschriftlich befüllt, registrieren lassen. Man sieht schon, in Lyskirchen gehen die Zeiten ein bisschen durcheinander, aber bei einer Sache versteht der Kurator Benjamin Marx keinen Spaß. Auch wenn für das Impfen geworben werden soll, heißt das nicht, dass jemand ausgeschlossen werden darf. "Im nördlichen Seitenschiff haben sich drei Figuren in die Ecke gedrängt. Die symbolisieren die Querdenker", sagt Marx. "Menschen, die vielleicht Angst haben vor dem Impfen."
So hat in dieser Panoramakrippe jeder seinen Platz gefunden. Und, bitte: Wo außer in Lyskirchen finden Impfbefürworter und Impfgegner noch in einem der Andacht gewidmeten Raum zusammen, der dann auch ein der Andacht gewidmeter Raum bleibt? Schweigsam stehen die Figuren da, konzentriert und ganz bei sich, die Argumente sind ja auch schon andernorts ausgetauscht worden, die Gegenargumente sowieso. Und für Streit und Geschrei, für die Gesten des Wegwischens und Fortwerfens anderslautender Argumente gibt sich eine Kölner Krippenfigur nicht her. Weihnachten ist auch eine Zeit des stillen Wartens. In erster Linie warten wir auf die Geschenke, in zweiter Linie auf mehr Impflieferungen und zu guter Letzt auf das Ende dieser ganzen elenden Bescherung und ihrer bescheuerten Mutanten.